Medienphilosophie

Reflexionen über unser Mediensystem

Über Content Kings und den Verlust der Vierten Gewalt

In Kürze können Sie diesen Text als PDF downloaden, ausdrucken und in Ruhe offline lesen. Hier zunächst die Online-Variante für Neugierige mit guten Augen:

 

2014: Die Kommunikationsbranche formiert sich neu und obwohl Journalisten per se die besseren Content-Kings sind, graben ihnen clevere Marketingexperten wieder einmal das Wasser ab. Wie das geschehen konnte, soll im Folgenden dargelegt werden.

 

Nach zwanzig Jahren Erfahrung mit dem Internet stellen Unternehmen fest, dass man im World Wide Web nun nicht mehr nur gefunden werden muss, sondern dass man den Suchenden auch etwas bieten sollte, nach dem sie gerne suchen. Nach Werbung für Produkte und prachtvollen Unternehmensverlautbarungen sucht jedenfalls niemand. Im Gegenteil: Eine 60.000 EUR teure Anzeige im Spiegel wird in einer Sekunde umgeblättert und wenn im TV die Werbeblöcke beginnen, verlassen die Zuschauer das Zimmer oder schalten blitzartig um.

 

Werbung wird von den meisten als lästig empfunden

 

Online poppen ungefragt Anzeigen und Werbefilme auf, die man nicht wegklicken kann und Kinopfilmproduzenten und TV-Sender setzen  vermehrt auf Productplacement, ein Label im Hintergund stört nicht und bringt trotzdem Geld ein. Abgesehen von immer neuen neuen Strategien, wie man das Publikum besser überlisten könnte, muss also etwas her, für das es sich wirklich interessiert. Content!

 

Welch eine Überraschung. Das journalistische Geschäftsmodell basiert seit Jahrhunderten auf informativen und unterhaltenden Inhalten. Dieser so genannte Uses-and-Gratifications-Approach ist seit 1962 in den Kommunikationswissenschaften bekannt. Journalisten wissen, welche Themen ihr Publikum interessieren, sie wissen, wie man einzigartige Inhalte (z.B. durch exklusive Interviews) herstellt, wie man zielgruppenrelevant schreibt und wie und wo man die Inhalte platziert, damit sie ihr Publikum finden oder vom Publikum gefunden werden.

 

Für Journalisten ist das Medium Internet nur ein weiterer Kommunikationskanal neben Printmedien, Radio und Fernsehen - und zwar einer, in dem man Texte, Bilder und audio/visuelle Bewegtbildelemente (Video) intelligent miteinander verknüpfen kann. Und die Erweiterung ihres Geschäftsmodells mit einem weiteren Distributionskanal hätte funktionieren können, wenn sie ihre Produkte, nämlich Informationen und Unterhaltung, nicht über das schöne neue Medium herschenken würden.

 

BWL mal anders: Verschenken, statt verkaufen

 

Anders als bei neuen Zeitschriftenprojekten haben die ansonsten gut ausgebildeten Verlagsmanager marktwirtschaftliche Grundsätze über Bord geworfen: anstatt zur Einführung im Web 1.0 niedrige Kampfpreise zu verlangen, haben sie gar keine Preise verlangt. Seither behaupten sie, dass das Publikum nicht bereit wäre, für Inhalte zu zahlen. Und sie haben Recht. Denn das Publikum, beflügelt durch die neuen Möglichkeiten des Web 2.0, selbst zu publizieren, befriedigte seine Kommunikationsbedürfnisse erst einmal gegenseitig (User Generated Content UGC). Und allmählich stellte sich heraus: die Masse will mehr Videos und Bilder, weniger lesen, weniger schwere Themen wie Politik,  Feuilleton, Wirtschaft, weniger Fakten, weniger Investigatives, weniger Komplexes - aber mehr Unterhaltung und Sport.

 

Es lebe der Sport weiter

 

FIFA und DFL haben dagegen ganz anders  reagiert und die Bezahlschranke für Fußballübertragungsrechte extra hoch gesetzt. So hoch, dass sich nicht einmal die großen Sender viel Material leisten können. So erschienen sogar in den Fernsehnachrichten nur Standbilder (Fotos!) von Bundesligaspielen, weil die Bewegtbildsequenzen zu teuer sind. Und da die Sportberichterstattung dem Publikum äußerst wichtig ist (relevant), können die Sender nicht einfach darauf verzichten. Um sich nicht komplett von den Rechteinhabern erpressen zu lassen zu müssen, begann man, die Berichtersattung über Handball, Basketball, Frauenfußball und Paralympics auszubauen. Nicht, weil die Zuschauermassen das verlangen, sondern in der Hoffnung, dass sie auf den Geschmack kommen. Und in der Tat, das Interesse der breiten Öffentlichkeit an Randsportarten nimmt zu. Das Interesse der breiten Öffentlichkeit an journalistischer Berichterstattung und vor allem an GEDRUCKTER Berichterstattung nimmt ab. Einzige Ausnahmen: DIE ZEIT und Landliebe.

 

Faustregel "Content is King"

 

Die Faustregel "Content is King" setzt sich im Marketing durch, weil man damit noch mehr Geld verdienen kann als durch Suchmaschinenoptimierung (SEO). Das Thema Suchmaschinenoptimierung ist für Kommunikationsagenturen bald ausgereizt, weil Google sich nicht austricksen lässt.

 

Und auf der Suche nach neuen Absatzmöglichkeiten haben die Marketing-, Werbe- und PR-Agenturen "Content" als wertvolles Produkt für sich entdeckt. Denn ihre Auftraggeber (Unternehmen) wissen immer noch nicht, wie man Inhalte erstens generiert und zweitens gekonnt veröffentlicht. Die Agenturen riechen den Bedarf, pushen die Nachfrage und formulieren ihre Angebote passend.

 

Content ist nichts anderes als das was Redaktionen seit Jahrhunderten verkaufen: Zielgruppenrelevante Informationen und Unterhaltung. Man muss dem Kind nur einen anderen Namen geben und schon gilt man als sein Vater. Also bieten die schlauen Marketingleute alten Wein in neuen Schläuchen an. Ihr Schlauch, auf dem "Content" steht, ist schick und innovativ. Sie vermarkten dieses vermeitlich innovative Produkt so geschickt, dass keiner den alten unsexy Schlauch der Journalisten, auf dem "interessante Inhalte" steht, mehr haben will - und wenn doch, sind die Journalisten unfähig, einen fairen Preis dafür zu verlangen. Lesen Sie im Folgenden, wie es dazu kam.

 

Was Journalisten können, können nur Journalisten

 

In den achtizger Jahren warb die Friseurinnung mit dem Slogan: Was Friseure können, können nur Friseure. Damit sollte der Trend zum Zuhausefrisieren gestoppt werden. Und genauso, wie sich jeder einbilden kann, er wäre in der Lage, seine Haare genausogut selber zu schneiden, weil er den Umgang mit einer Schere beherrscht, behaupten viele, die lesen und schreiben können, sie könnten texten, wer einen Fotoapparat beherrscht, kann fotografieren, wer eine Kamera beherrscht, kann filmen, u.s.w. Und damit haben viele von ihnen sogar Recht: Denn genausogut, wie einige Laien Köpfe frisieren können, stellt sich heraus, dass es begabte Autoren, Texter, Fotografen und Filmemacher unter denjenigen gibt, die hauptberuflich etwas ganz anderes machen. Diese Hobbypublizisten und Blogger verderben die Preise. Niemand ist mehr bereit, für gekonnte Texte und Bilder, Geld auszugeben.

 

Kommunikation ist, miteinander in Beziehung zu treten

 

Bisher setzten Verlage und Sender nur auf Information. Dass es den Rezipienten in Wirklichkeit um Kommunikation geht, versunsichert sie. Die Tatsache, dass das Internet ein weiterer technischer Kanal ist, haben Verleger viel zu spät begriffen und viele von ihnen kapieren es bis heute nicht, dass das Internet auch als Rückkanal für den Leser/Zuschauer dient. Und auch die Werbungtreibenden wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Es herrscht Unsicherheit: Eine hervorragende Ausgangsposition für die Agenturen. Sie präsentieren sich als Retter in der Not und verkaufen ihre Dienstleistungen für teures Geld.

 

Seltsam nur, dass gleichzeitig die, die am meisten von Content verstehen, also die Journalisten, weiter sinkende Gehälter und Honorare bei steigender Arbeitsbelastung in Kauf nehmen. Denn ihr Knowhow ist nun gefragt. So stellen z.B. Adidas und Mercedes Benz schon vermehrt Journalisten im Marketing ein und Red Bull vermarktet Informationen in Form von erstklassigen Beiträgen. Damit fliegt der Brausehersteller als Mediahouse allen davon: Klassische Medien und Konsumgüterhersteller können nur noch hinterherwinken.  PR-Effekte im Wert von über einer Milliarde Euro soll das Spektakel verursacht haben, das Red Bull mit dem Projekt Stratos erzeugt hat. Content Marketing in Reinform.

 

Das Überangebot an Journalisten führt zur Inflation der Preise

 

Vor fünfzehn Jahren ließen sich die Journalisten bereits abhängen: Damals erlebten wir das Web 1.0: Eine Methode, Inhalte elektronisch an ein disperses Publikum zu verbreiten. Print und TV und Radio in Einem. Es entstand der Beruf des Content Managers. Diese unerschrockenen Pioniere klauten sich die Inhalte zusammen und verdienten im Rahmen der New-Economy-Blase ein Vielfaches von dem, was Journalisten verdienten, obwohl diese damals noch gar nicht so schlecht bezahlt wurden.

 

Das änderte sich im Jahr 2000. Der Zusammenbruch der New Economy wurde benutzt, um Journalisten-Honorare drastisch zu kürzen. Obwohl damals der Anteil der Internetwerbung am Werbeerlöskuchen noch einstellig war, benutzten die Verlage den Crash, um mit folgender Agumentationskette auch die Honorare von Autoren und Redakteuren bei Print, Radio und TV zu drücken:

 

1. Durch den Zusammenbruch der New Economy müssten die werbetreibenden Firmen nun den Gürtel enger schnallen und tüchtig sparen. 2. Sie schalten daher weniger Werbung. 3. Die Verlage und Sender erzielen daher auch weniger Erlöse. 4. Deshalb könnten sie für die Produkte der Journalisten (Texte, Fotos, Filme) leider nur noch sehr wenig zahlen....

 

Das galt nicht nur für Freelancer. Schlagartig trennten sich Verlage und Sender von allem, das keinen Gewinn erwirtschaftete und hängten die Sparfahne raus. Es wurden auch immer weniger Redakteure eingestellt und viele Verlage verließen den Tarifverbund oder gliederten Redaktionen in so genannte Servicegesellschaften aus, die keine trarifgebunden Gehälter zahlen mussten.

 

Da aber "Journalist" immer noch ein Traumberuf ist und tausende von Nachwuchstalente auf die immer weniger Stellen schielen, blieb denen, die noch Arbeit hatten, nichts anderes übrig, als die mickrigen Honorare und Gehälter zu akzeptieren.

 

Gratisinhalte sind des Journalisten Tod

 

Was auch nicht funktionierte, war die Methode, Verlage und Sender immer deutlicher zu reinen Werbeflächen-Vermarktern umzurüsten: Für profitorientierte Verleger sind Artikel nur noch dazu da, um drumrum Werbeplätze anbieten zu können. Ein Konzept, das kostenlose Werbeblätter seit Jahrzehnten erfolgreich praktizieren: Wir packen ein Kilo Werbung in eine billig hergestellte Zeitung und verteilen sie an möglichst viele Haushalte. Streuverluste sind im Anzeigenpreis einkalkuliert. (Wieso die kostenlosen Wochenendblätter trotzdem aussterben.) Auch die privaten Fernsehsender funktionieren so: Wir bestrahlen 34 Millionen Haushalte mit Werbung und damit die Haushalte auch einschalten, locken wir sie mit Gratisprogramm, dass wir um die Werbeblöcke herum platzieren. Früher war das genau anders herum. Nur leider funktioniert dieses Geschäftsmodell eben immer schlechter und der Grund dafür ist der gleiche Todesstrudel, der auch bei den Printmedien eingesetzt hat.

 

Medien erhöhen Anzeigenpreise bei sinkender Auflage

 

Die Verleger stellten fest, dass das Geschäft schlecht läuft und erhöhen daher kontinierlich die Preise für die Abonnements. Schauen Sie gelegentlich auf Ihre Kontoauszüge, Sie werden fstestellen, dass Ihr Tageszeitungsabo seit Jahren immer teuerer wird. Dieser automatischen Preisanpassung haben Sie bei Vertagsabschluß zugestimmt. (Extra Thema: Mindestlohn für Zeitungsausträger). Gleichzeitig unterwarfen sie die Redaktionen einer Minimaldiät. Das Ergebnis: Unterbzahlte Redakteure müssen immer mehr Artikel schreiben und weil sie das nicht schaffen, drucken sie vorgefertigte PR-Artikel ab, die ihnen mit schönen Bildern ins Haus flattern. Unerfahrene und ungebildete Schreibsklaven unterziehen keine Presseverlautbarung mehr einem kritischen Blick, dafür bleibt keine Zeit. Politik und Wirtschaft nutzen das natürlich aus und wenn sie einmal auf einen echten Journalisten treffen der sich weigert, ihre Botschaft zu drucken, schmieren sie ihn. Presserabatte, Recherchereisen ... - jeder hat seinen Preis. Was in der Politik Lobbyismus heißt, heißt in der Wirtschaft PR. Die Zahl der schwarzen Schafe steigt. Niemand kann das beweisen, aber hinter vorgehaltener Hand - off the records, wie es bei uns heißt - verdichten sich die Gerüchte. Doch bleiben wir bei der Ökonomie.

 

Werbetreibende verlangen Quote

 

Die Werbereibenden empfinden die sinkende Reichweite bei gleichzeitg steigenden Anzeigenpreisen als absurd und das mit Recht. Sie fordern die Werbeträger auf, gefälligst wieder mehr Auflage / Reichweite / Einschaltquote zu bieten. Und was machen die Medien? Sie sprechen nur noch die Massen an: Der Massengeschmack bestimmt das Programm. In der Folge sehen wir im Free TV weitgehend Mainstreamschrott. Unterschichtenfernsehen und Belanglosigkeiten. Die wenigen Qualitätsformate werden ununterbrochen wiederholt oder billig abgekupfert und weil das alle so machen und mangels Alternativen versammeln sich die Zuschauer beim gernigsten Übel.

 

Trotzdem sinken die Zuschauerzahlen, denn immer mehr Zuschauer laden sich ihre Wunschsendungen aus den Mediatheken oder wandern zum Pay TV. Hier müssen sie sich nicht mit Sendungen herumschlagen, die sie nicht interessieren.

 

Free TV vor dem Aus

 

Doch die Werbetreibenden sind nicht blöd: Sie sind nicht mehr bereit, für ein Publikum zu bezahlen, das vorwiegend aus Armen, Ungebildeten, Kranken, Rentnern und Arbeitslosen besteht. Sie fordern ein gehobeneres Publikum. Und nun hoffe ich, dass die Sender es schaffen (und mit ihnen die Verleger), über die Glücksformel "Content is King" wieder interessante Inhalte herzustellen.  Hochklassiger Content ist zeichnet sich durch seinen hohen Nutzwert ab: Relevante Informationen und hochklassige Unterhaltung. Dazu brauchen Sie Journalisten.

 

Wenn die Agenturen allerdings so weitermachen, werden sie weiterhin ohne die Hilfe der Journalisten Inhalte produzieren und sie werden dabei immer besser werden. Die Unternehmen werden sich fragen, wozu brauchen wir Verlage und Sender, machen wir doch unser eigenes Fersehprogramm unsere eigenen Zeitschriften. Und sie werden erfolgreich sein. Weil ihre Agenturen gelernt haben werden, hochwertigen Content herzustellen und wie sie den zielgruppengenau distribuieren. Im Grunde kein Problem, wäre es nicht die Aufgabe der Presse, die Demokratie zu schützen.

 

Vierte Gewalt bald nur noch ein zahnloser Tiger - wen stört's?

 

Dadurch, dass die klassische Presse als "Vierte Gewalt" es sich nicht mehr leisten kann, durch investigative Recherchen den Mächtigen auf die Finger zu schauen - und auch weil das Massenpublikum dies gar nicht einfordert - wird das mächtige Demokratieschwert "Pressefreiheit" bald dermaßen verrostet sein, dass man damit noch nicht einmal mehr eine Weißwurst durchschneiden kann. Politk und Wirtschaft werden sich gegenseitig unkontrolliert die Taschen vollschaufeln, mit dem Argument, das sichere Arbeitplätze. Menschen, die Arbeit haben, steigern die Binnennachfrage, zahlen Steuern und wählen entweder diese Regierung wieder oder gehen gar nicht zur Wahl. Die Wenigen, die sich an dieser Entwicklung stören, haben ja immernoch die Freiheit, ihre kritische Meinung in ihren eigenen Blogs zu äußern. Doch wer liest das schon?